Die vorliegende Arbeit versucht, den bisherigen Weg Frankreichs in das Informationszeitalter nachzuzeichnen und zu analysieren. Dabei soll es schwerpunktmäßig nicht um soziologische Fragestellungen gehen. Im Blickpunkt der Betrachtungen werden vielmehr die Technologien stehen, die die infrastrukturelle Grundlage für die sogenannte Informatisierung der Gesellschaft bilden, also die Informationsnetze im technischen Sinne.
Neue Technologien führten in den vergangenen Jahrzehnten zu drastischen Kostenrückgängen bei Transport und Kommunikation und standen somit am Beginn der Phänomene, die mit Schlagwörtern wie Globalisierung oder Übergang von der Technik- zur Informationsgesellschaft umschrieben werden. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß das Internet im Zentrum dieser Entwicklungen steht. Insbesondere hat keine andere Technologie in letzter Zeit ein solch breites Feld der Bevölkerung berührt. Das Internet ist eines der wenigen greifbaren Phänomene der Informationsgesellschaft, das sowohl im Unternehmensbereich als auch in privaten Haushalten Einzug gefunden hat.
Wie in so vielen anderen Bereichen auch, nimmt Frankreich bei der Nutzung von Informationsnetzen aber eine Sonderrolle ein. Bereits vor dem Internet und noch heute weit häufiger als das Internet wird in Frankreich das nationale Bildschirmtext-System Télétel, meist nach seinem Endgerät einfach Minitel genannt, als Informationssystem genutzt. In keiner anderen Industrienation kennt das Internet einen solchen Konkurrenten. Um diese Situation erklären zu können, wird ein Schwerpunkt dieser Arbeit auf den industriepolitischen Maßnahmen, die die Entwicklung und Einführung des Minitel begleiteten, liegen. Das Minitel ist dabei ein Musterbeispiel eines grand projet französischer Industriepolitik, also eines technischen Systems, das über den gesamten Entwicklungsprozeß hin vom Staat geleitet wurde. Dieser Teil der Untersuchung kann sich auf einige anerkannte Arbeiten der Wirtschafts-, Politikwissenschafts- und Sozialforschung stützen.
Infolge der Existenz eines nationalen Informationssystems setzte sich das Internet in Frankreich langsamer durch als in anderen europäischen Ländern. Vor diesem Hintergrund wird es Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, die Ursachen dieser Verspätung zu analysieren und eine erste Darstellung der jüngsten Programme des französischen Staates zur Förderung des Internet zu liefern. Zu diesem Thema schweigt die wissenschaftliche Literatur bislang noch weitgehend. Aussagen über das staatliche Handeln im Bereich Internet werden sich daher hauptsächlich auf Regierungsberichte und Statistiken stützen. Persönliche Einschätzungen im entsprechenden Wirtschaftssektor tätiger Personen sollen helfen, das Bild abzurunden. Gefragt werden muß in diesem Zusammenhang auch, inwieweit sich hier die staatliche Einflußnahme auf die Wirtschaft in ihren Prinzipien geändert hat oder ob es sich nur um eine Fortsetzung des alten Etatismus, angepaßt an die neuen internationalisierten Verhältnisse, handelt. Schließlich soll ein Ausblick auf die online-Zukunft Frankreichs skizziert werden. Anhand der jüngsten Entwicklungen wird gezeigt werden, wie sich die Nutzung der beiden konkurrierenden Systeme Minitel und Internet zuletzt entwickelt hat.
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